Du wünschest von mir einen Bericht über meines Oheims Ende, damit Du der Nachwelt möglichst wahr berichten kannst. Ich danke Dir dafür, denn ich weiß, daß seinem Tode, wenn er von Dir würdig dargestellt wird, ewiger Nachruhm beschieden ist. Wohl verlor er sein Leben zugleich mit dem Untergang der schönsten Landschaften, wohl wird er durch dieses denkwürdige Unglück wie Völker und Städte dauernd fortleben, wohl hat er selbst zahlreiche Werke von bleibender Bedeutung geschaffen: dennoch wird zu seiner Unvergänglichkeit die ewige Dauer Deiner Schriften wesentlich beitragen.

Ich schätze alle glücklich, denen es der Götter Gunst verlieh, Taten zu vollführen, die der Aufzeichnung wert sind, oder lesenswerte Schriftwerke zu verfassen: am höchsten aber preise ich die, denen beides zuteil wird. Und zu diesen Menschen wird mein Oheim durch seine wie durch Deine Schriften gehören. Um so lieber erfülle ich also Deinen Wunsch, ja er entspricht sogar meinem eigenen dringenden Begehren.

Mein Oheim weilte damals in Misenum und führte persönlich den Oberbefehl über die dortige Flotte. Am vierundzwanzigsten August, etwa um ein Uhr nachmittags, meldet ihm meine Mutter, es zeige sich eine Wolke von ungewöhnlicher Größe und Gestalt. Er hatte ein Sonnenbad genommen und nachher kalt gebadet, sich dann niedergelegt, etwas gespeist und war eben mitten in seinem Studium. Da verlangte er seine Schuhe und erstieg einen Platz, von dem sich die wunderbare Erscheinung recht gut beobachten ließ.

Eine Wolke stieg auf. Aus welchem Berge sie kam, konnte man bei der Entfernung nicht feststellen - daß es der Vesuv war, wurde erst später deutlich. Am ehesten glich sie einem Baum, und zwar einer Pinie. Wie auf einem überaus hohen Stamm stieg sie empor und teilte sich in mehrere Aste. Offenbar hatte sie ein frischer Luftstoß hinaufgetrieben; dessen Nachlassen oder ihr Eigengewicht hinderte sie sodann am weiteren Emporsteigen, und so nahm sie breite Form an; zeitweise war sie weiß, zeitweise schmutzig-grau und fleckig, je nachdem sie Erde oder Asche mit sich führte- ein wissenschaftlich so interessierter Mann wie mein Oheim gedachte das außerordentliche Naturereignis näher zu erforschen. Er gab Befehl, ein leichtes Fahrzeug segelfertig zu machen, und stellte mir das Mitkommen frei. Ich erwiderte, ich möchte lieber arbeiten, und zufällig hatte er mir selbst eine schriftliche Aufgabe zugewiesen. Eben wollte er das Haus verlassen, als er ein paar Zeilen von Rectina, der Gattin des Tascius, bekam, die durch die drohende Gefahr beunruhigt war (ihr Landhaus lag nämlich am Fuß des Berges, und man konnte sich von dort nur zu Schiffe retten): sie bat ihn um Hilfe in der furchtbaren Not. Daraufhin änderte er seinen Plan und vollendete als Held das Werk, das er als Forscher begonnen hatte. Er läßt Vierdecker in See stechen und geht selbst an Bord, um nicht nur Rectina, sondern auch zahlreichen anderen (wegen ihrer landschaftlichen Reize war die Küste sehr besucht) Rettung zu bringen. Er eilt dorthin, von wo alles flüchtet, und steuert geradewegs auf die Gefahr zu, so furchtlos, daß er sogar die beständig wechselnden Bilder dieses Unheils, wie er sie wahrnahm, seinem Schreiber zur Aufzeichnung diktierte.

Schon fiel Asche auf die Schiffe, um so heißer und dichter, je näher man kam; schon auch Stücke von Bimsstein und schwarze, halbverbrannte oder von der Hitze geborstene Steinbrocken. Da trat plötzlich das Meer zurück, und der Strand wurde unwegsam durch den Einsturz der Bergmassen. Mein Oheim bedachte, einen Augenblick zögernd, ob er nicht umkehren solle; der Steuermann riet dazu. Da rief er: »Das Glück ist mit den Mutigen; vorwärts zu Pomponianus!« Der befand sich in Stabiae, also auf der anderen Seite des Golfs, den der Strand in sanfter Schwingung bildet. Pomponianus hatte seinen Hausrat bereits auf Fahrzeuge bringen lassen; wohl drohte die Gefahr dort noch nicht unmittelbar, war aber immerhin erkennbar, und wenn sie sich steigerte, doch überaus nahe. Indes konnte er an die Flucht erst denken, wenn sich der Gegenwind legte. Mein Oheim fährt zu ihm mit diesem ihm so günstigen Winde, umarmt, tröstet, ermutigt den ängstlichen Mann und läßt sich selbst ins Bad tragen, um durch die eigene Furchtlosigkeit die Angst des andern zu beheben. Nach dem Bade geht er zu Tisch und speist voller Heiterkeit, oder tut wenigstens so, was nicht geringere Seelenstärke beweist.

Inzwischen flammten aus dem Vesuv an mehreren Stellen breite Feuergarben und mächtige Feuersäulen auf, deren heller Schein sich durch das Dunkel der Nacht noch verstärkte. Mein Oheim erklärte immer wieder, um der allgemeinen Angst entgegenzuwirken, dieses Feuer rühre nur vom Brande der verlassenen Landhäuser her; in ihrem Schrecken seien die Bauern davongelaufen und hätten die Herdfeuer brennen lassen.

Dann begab er sich zur Ruhe und hatte tatsächlich einen tiefen Schlaf. Sein Atemholen vernahmen die Leute, die bei seinem Zimmer vorbeigingen: infolge seiner Beleibtheit litt er nämlich an schwerem Atem und schnarchte. Jetzt bedeckte sich jedoch der Vorraum, durch den man das Zimmer betrat, rasch derart mit einem Gemisch aus Asche und Bimssteinen, daß man bei längerem Verweilen im Schlafzimmer keinen Ausgang mehr hätte finden können. Darum weckte man ihn; er stand auf und begab sich zu Pomponianus und den anderen, die die Nacht durchwacht hatten. Sie hielten nun gemeinsam Rat, ob man im Hause bleiben oder lieber im Freien sich aufhalten solle, denn infolge der wiederholten ungeheuren Erdstöße schwankten die Häuser hin und her, und man hatte den Eindruck, als ob sie sich, gewissermaßen aus dem Boden gehoben, bald nach der einen, bald nach der andern Richtung hin bewegten und schließlich wieder ihre frühere Stellung einnähmen. Im Freien aber war das Herabfallen der wenn auch leichten, brandzerfressenen Bimssteine zu fürchten; dennoch entschied man sich bei Vergleichung der beiden Gefahren für die zweite. Und zwar siegte bei meinem Oheim ein Vernunftgrund über den andern, bei den übrigen entschied nur eine Furcht über die andere. Um einen Schutz gegen den Steinregen zu finden, legte man sich Kissen auf den Kopf, die man mit leinenen Tüchern festschnürte. Schon war es anderwärts Tag, dort aber Nacht, schwärzer und finsterer als alle Nächte, nur daß zahlreiche Fackeln und allerlei Feuererscheinungen das Dunkel etwas erhellten.

Man entschloß sich nunmehr, an den Strand zu gehen und aus der Nähe Umschau zu halten, ob das Meer schon einen Rettungsversuch gestatte; doch dieses blieb stürmisch und der Gegenwind ungebrochen. Hier legte sich mein Oheim auf ein hingebreitetes Tuch, ließ sich mehrmals kaltes Wasser reichen und trank es. Dann trieben die Flammen und deren Vorbote, der Schwefelgeruch, die anderen in die Flucht, ihn nötigten sie zum Aufstehen. Gestützt auf zwei junge Sklaven, erhob er sich; aber im nächsten Augenblick brach er zusammen. Ich vermute, der dichte Rauchqualm hatte ihm den Atem benommen und die Luftröhre verschlossen, die bei ihm von Natur schwach und enge war, so daß er viel unter asthmatischen Anfällen litt. Als es wieder hell wurde (seit seinem letzten Tag der dritte), fand man seinen Leichnam unversehrt, ohne Wunden und mit der Bekleidung, die er zuletzt getragen hatte; sein Aussehen glich mehr einem Schlafenden als einem Toten.

Während dieser Vorgänge befand ich mich mit meiner Mutter in Misenum. Aber das ist ohne Belang für die Geschichtsschreibung, und Du wolltest auch bloß vom Lebensende meines Oheims Kunde haben. So schließe ich denn. Nur eines sei noch erwähnt: ich habe all das geschildert, was ich selbst erlebt oder was ich gleich anfangs, wo man noch ziemlich ungetrübte Wahrheit erfahren konnte, vernommen habe. Du magst davon auswählen, was Du für das Wesentliche hältst: es ist etwas anderes, einen Brief oder ein Stück Geschichte, etwas anderes, für einen Freund oder für die große Welt zu schreiben. Lebe wohl.

Aus: Plinus der Jüngere - Briefe; übersetzt von Mauriz Schuster, Reclam, 1953

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